"Das Begehren des Menschen ist das Begehren des Anderen."
Jacques Lacan, französischer Modernisierer Freuds
Eine Psychoanalyse ähnelt ein wenig dem Gang von Musikern ins Studio. Nicht selten erscheinen diesen, gerade wenn sie doch vor allem "live" Erfolg haben wollen, die Soundvorschläge ihres Produzenten als überflüssige Zierde.
Wie die Musiker, so sollten jedoch auch die Patienten willens sein, im Rückzugsgebiet des Studios etwas Neues zu vernehmen.
Und sich darauf einstellen, dass es ein Prozess sein wird, der oft erst bei langfristiger und kontinuierlicher Arbeit den erwünschten inneren Veränderungseffekt hat. So kann ein ewig gleiches Lied schliesslich ein neues Gewand bekommen bzw. so, wie es nun mal ist, angenommen werden.
Lacan (1901-1981) benennt noch expliziter als Freud das Unbewusste als sprachlich strukturiert.
Die stark von Sprache geprägte menschliche Psyche begreift er dabei als fragilen Zusammenhang von drei Ringen: ① dem Ring der Vorstellungswelt und damit einhergehend oft grandiosen Erwartungen, ② dem Ring der Hierarchien und Titel, bzw. der den Träumereien Grenzen aufzeigenden Sprache, ③ dem Ring des hierin nicht aufgehenden (wiederkehrenden) Restes, dem authentischen Subjektkern.
Nicht von der Hand zu weisen sind hier Ähnlichkeiten mit Freuds Instanzen (Ich, Gewissen/Überich, Triebe/Es), aber auch mit anderen Versuchen, die Psyche in mindestens drei Fraktionen aufzuteilen - etwa auch Platon mit seinem "Seelenwagenmythos"...
Eine psychoanalytisch ausgerichtete Psychotherapie versucht in gemeinsamer "Studioarbeit" für den Patienten den je eigenen Weg zu einem stabilen Gleichgewicht zu finden.
Fluchtpunkt ist das umrissene psychoanalytische Ideengut, zugleich bewege ich mich im vorgegebenen Rahmen mit Zielorientierung und einem klar definierten Sitzungssetting.
"Was wollen die anderen von mir?"
Che vuoi: Auf und ab wippend ausgedrückt in der wohl italienischsten aller Gesten 🤌 ... Lacan zitiert dieses "Was willst du?" / "Wie siehst du mich?" als Charakteristikum des menschlichen Willens: vermeintlich privat, jedoch stets zutiefst vom unterstellten Wollen anderer geprägt.
Auch Psychoanalytiker wissen nicht genau, was andere denken und wollen. Aber sie hören auf das Ungesagte, das Mitgesagte und überhaupt: auf das "Rascheln" des Unbewussten, auf Wortwahl, auf Sprachduktus, auf fremde Klänge darin, auf Ausflüchte, auf seltsame Gedächtnislücken, auf Sturköpfigkeiten, Träumereien usw.
Dem muss nicht unbedingt ein fester Sinn zugewiesen werden, auch geht es nicht darum, es auszutilgen. Dennoch legt es eine Spur zum privaten Geniessen, zum "intimen Sozialen" in der Reaktion auf fremdes Wollen. Schopenhauer nennt dies das "Stachelschwein" in uns: Auf Nähe, Wärme und Reibung genauso bedacht wie auf möglichst wenig Stichwunden - im Kompromiss also auf einen gesunden Abstand zu anderen...
Lacan erkannte, dass wir unser Unbewusstes durchaus immer wieder offenlegen, es aber ähnlich einer gewohnheitsmässig getragenen Brille zwar ständig vor Augen haben, und doch "aus den Augen verlieren". So wie der Sehschwache die Brille und der seinen Sound "aus den Ohren verlierende" Musiker einen Produzenten braucht, so sollte man da, wo man sich selbst nicht mehr versteht, Hilfe annehmen. Von jemandem, der Ihre Worte auf andere Weise hört und so neue Perspektiven anbieten kann.
Mehr. Klassische Psychoanalyse des frühen Freud: Verborgen im "schmutzigen" Untergrund
Der in Edgar Allen Poes Story gestohlene und dann zurückgestohlene "Letter" war je schon gefundenes Fressen für Psychoanalytiker und ihre Idee, "im eigenen Haus" (durch unbewusste Impulse) bestohlen zu werden, aber auch zu einer symbolischen Rückaneignung in der Lage zu sein. Lacan bezeichnet Poes Brief als DIE "Allegorie" der Psychoanalyse schlechthin.
Schnell-Orientierung: "Ein Brief auf Umwegen" in 9 Szenen
Die Königin erhät einen Brief von einem, der Belastendes weiss (heute wäre es vielleicht eine Art "Sextape"). Sie registriert, dass der König keinen Verdacht schöpft.
Weil ein normales Verstecken sie nur auffällig machen würde, legt sie ihn so "casual" wie möglich offen auf den Tisch. Nun ist aber auch Minister D. zu Besuch, dem dies nicht entgeht, der vielmehr blitzschnell seine Chance auf eine Erpressung erkennt.
Geschickt steckt Minister D. den Brief ein und lässt an seiner Stelle
einen zufällig mitgeführten belanglosen eigenen Brief zurück.
Die Königin schaltet "ihre" Polizei ein, die immer wieder heimlich die Wohnung des Ministers D. nach verstecktypischen Verstecken durchpflügt - minutiös rational, Millimeter för Millimeter - und doch erfolglos.
Irgendwann berichtet der Polizeichef dem befreundeten Dupin von der Schmach. Als dann Dupin, Hobby-Detektiv und Lieblingsfeind des Ministers, bei jenem aufkreuzt, befindet sich der potentiell Macht verleihende Brief noch immer offen ausgestellt. Dupin sieht den harmlos auf Altpapier getrimmten Umschlag beim Kamin sofort.
Er verabschiedet sich, nur um am nächsten Tag unter einem Vorwand wiederzukommen. Er lässt vor dem Haus einen Knalleffekt inszenieren und in genau diesem Moment tauscht er den Brief gegen einen vorbereiteten Fake-Brief inkl. gehässiger Widmung an D.
Dupin bringt den Brief dem Polizeichef, der die Welt nicht mehr versteht.
Da nun der Brief ein vorletztes Mal die Hände wechselt, wird er natürlich nicht mehr "metaphorisiert" offen versteckt, sondern von Dupin als solcher dem Polizeichef ausgehändigt. Die vom Brief ausgehende Macht konkretisiert sich nun erstmals, und zwar in der stattlichen Summe Geld, die Dupin für den Fund einstreichen kann.
Schliesslich bringt der Polizeichef den Brief der Königin, die sich also auf Umwegen seiner wieder bemächtigen kann.
Die Story findet sich klassisch nach dem frühen Freud gedeutet, wie auch sprachstrukturell nach dem eher späten Freud analysiert - warum also nicht zum besseren Verständnis diese beiden Paradigmen vergleichen?
Bonaparte vs. Lacan: wer die Psychoanalyse Freuds in Frankreich publik machte - und wer sie sich ihrer bemächtigte
Das obere Foto ist echt (Freud und Marie Bonaparte in einem Raum). Nicht nur war Bonaparte beim Meister in Lehranalyse und förderte die Psychoanalyse in Frankreich mit Veröffentlichungen und finanziellen - letztlich aus verwandtschaftlichen Glückspieleinnahmen - Mitteln in Frankreich, auch verband die beiden eine enge Freundschaft. Die "Prinzessin" verfasste aber auch selbst einige psychoanalytische Aufsätze, darin war sie lediglich aus Eigensinn feministisch, betrieb ansonsten aber mehr oder weniger eine direkte Anwendung von Freuds ödipaler Analyse.
Das untere Foto ist eine Montage: der kauzige Lacan war zu eigensinnig, um bei Freud auf Anklang zu stossen. Und das mögliche Treffen in Frankreich scheute er, weil er dafür Bonaparte hätte bitten müssen...
Aber sein Name ist in vielen Teilen der Welt heute prominenter als der Freuds, er hat dessen Psychoanalyse in eine neue, "post-fordische" Form gebracht.
Das Leben der letzten Bonaparte (1): Ihre Geschichte beim Lieblingsautor finden
Marie Bonaparte, Enkelin des Bruders vom berühmten Feldherrrn, war von Lieblosigkeiten geprägt. Als sie mit 16 vom Sekretär ihres Vaters bezirzt wird, verliebt sie sich sofort. Dass dieser darauf pocht, ihm schriftliche Liebesbekundungen zu übergeben, schöpft sie keinen Verdacht. Die Liebesbriefe nutzt er später gleich zweimal, um sie zu erpressen. Ob auch deshalb Poe mit seiner Geschichte vom zur Erpressung genutzten Brief so sehr Eindruck machte? Nicht nur las sie ihn begeistert, auch wurde er ihr bevorzugtes Objekt psychoanalytischer Literaturstudien...
Das Leben der letzten Bonaparte (2): Ihre Geschichten bei der Vaterfigur Freud beglaubigt finden
Ihre Suche speziell nach väterlicher Liebe wurde v.a. bei Sigmund Freud gestillt. Er nahm sie nach erstem Zögern in Therapie und bestätigte viele ihrer Lösungsversuche, ihre eigene Geschichte zu deuten. Immer wieder hatte sie halb literarisch Tagebücher geführt. Marie Bonaparte steht für die klassische Psychoanalyse: Freud analysierte sie und schrieb das Vorwort zu ihren Poe-Studien.
Sie hielt seine PSychoanalyse für bewiesen, wo er ihre "Horrorgeschichten", die sie zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr schrieb, als Symbolisierungen ihrer strengen, einsamen Kindheit inkl. "Sextape"-Zeugenschaft (sie sah den Knecht und ihr Dienstmädchen) deutete.
Ein echtes "Match", war sie doch besessen von Sex & Crime, stolz wie sie war auf ihre Korsen, den Urgrossonkel und Revolutionär Napoleon sowie den Grossvater und Journalisten-Mörder. Nach vielen Schönheits- und Klitoris-OPs (gegen ihre Frigidität) kam sie suizidal mit 44 zu Freud nach Wien.
Dies ging so weit, dass sie wiederum Freuds Briefe an sich nahm.
Bonapartes ("orthodox" dem frühen Freud folgende) Interpretation Poes
Wie erwähnt, schreibt sie, was sie erlebt, bei Poe liest sie, was sie erlebte.
Nachdem sie mit Freud und seiner Psychoanalyse vertraut war, schreibt sie auch eigene theoretische Beiträge.
Wo Freud die Psychobiographie verhältnismäßig zurückhaltend betreibt, liest sie Poes Story vom verumwegten Brief als Inszenierung eben von figürlichem Ersatz: die (wie bei ihr selbst) früh verlorene Mutter wird in Form des Briefes-auf-dem-Kamin (Wortgewalt und Weiblichkeit) ersehnt, als Mann muss er aber zunächst einen männlichen Gegenspieler übertrumpfen: D(upin) gegen D.
Sigmund Freud, Ikone des Nachtseiten-Aufhellens, hörte nicht nur auf peinliche und peinigende Versprecher seiner Patienten - rausgerutschte Doppeldeutigkeiten genauso wie ausgelutschte Rationalisierungen. Nein, er las auch Literatur "als Krankengeschichte" - ihrer Figuren (etwa Oedipus), sowie ihrer Schöpfer (etwa Dostojewski). Marie Bonaparte, Urenkelin des Napoleon-Bruders und Schwester Freuds im aufdeckenden Geiste, nahm sich die Blaupause aller Detektivgeschichten vor: Edgar Allen Poes Entwendeter Brief, der ihrem psycho-detektivischen Blick einen "unterbewusst", ungewollt hineingeschmuggelten Mutterkomplex des Autors preisgibt. Warum sonst hätte Poe das von allen begehrte Diebesgut ausgerechnet über einem Kaminsims, einem klaffenden Loch, platziert? Bonaparte deutet dies leicht(fertig) als Symbol des weiblichen Geschlechts, welches hier die Lippen schürzt, das Sagen hat... Wie beim christlichen "vierfachen Schriftsinn", so fügt auch der moderne Kommunikationstheoretiker Schulz von Thun der "normalen" Bedeutung drei weitere hinzu. Edel oder empathisch ist da bzw. dort, wer versteht, was man glauben/lieben/hoffen darf, bzw. was appelliert/selbstoffenbart/über den anderen gesagt wird. Je mehr das Wollen ins Spiel kommt, desto spekulativer und anfälliger für Missverständnisse die "Message".
Weniger edel ist demgegebüber die Vorannahme der Psychoanalyse, dass der Mensch auch und vor allem ständig asoziale Triebregungen ausagieren muss, dies in der Sprachbenutzung bzw. in den Augen der anderen aber in sozial verträgliche Themen kleidet: spannende Story mit Kaminfeuer-Ambiente statt wehleidiger Mutterfrust.
Die alte und auch klischeehafte Vorstellung von Psychoanalyse rechnet wie mit einem Wörterbuch ausgestattet mit Absichten und Vorhaben, die noch so alltäglich sein können, darin aber nur falscher Schein sind, dahinter stecken Sex & Crime.
Nicht ausgelebte oder nicht bürgerlich in Beruf und Ehe hinein erzogener böser Triebe stauen sich innerlich an, suchen nach Expression und drängen kompromisshaft in Fehlleistungen und Symptomen doch ans Licht. Wie alte Milch sauer wird, so fehlt diesen Triebschicksalen der Agens und Situation positiven Ausdrucks.
Die ödipale Vorannahme auf Vereinigungssehnsüchte und Konkurrenzneid hat schliesslich etwas Verschwörungstheoretisches an sich, wie man heute sagen würde. Zugleich ähnelt die Suche nach statistischen Massgaben der rein mathematischen KI - menschliche Intelligenz hingegen hat die unbewusste dichterische Intuition, eher: Einschränkung der symbolischen Kette (wie Traumata - Computer sind dümmer, gerade weil sie diese Einschränkung nicht haben...). Sozusagen so eindimensional, wie es die Polizei auch ist, die mit der Unterstellung eines fixen Verstecks überall das Gleiche entdecken will.
FRONT DALL-E "oval fireplace w/ flowers" BACK ANITA BRUNAUER "la vulva"
Noch mehr! Freud mit Lacan: Verborgen durch Zurschaustellungen
Andere Passagen bei Freud stützen durchaus auch diese bevorzugte Lesart Lacans, wonach das "Un" des Unbewussten eher einer bestimmten Negation entspricht. Einem Witz zufolge wäre ja ein "Kaffee OHNE Milch und Zucker" als Getränk zwar das gleiche, in der Phantasie aber durch die Aufrufung der weggelassenen Extras doch etwas anderes als ein simpler schwarzer Kaffee...
Lacans (auch den späten Freud integrierende) Interpretation Poes
Lacan liest die gleiche Detektivgeschichte ganz anders, nicht inhaltlich (etwa per hochspekulativer "psychobiographischer" Unterstellung verheimlichter Motivationen), sondern "buchstäblich", dem entwendeten "Letter"/Brief und dem durch ihn er- respektive entmächtigten Protagonisten auf den Fersen. Damit ist der "Wiederholungstrieb" angesprochen, dessen Struktur darin besteht, dass immer aufs Neue ein Letter/eine Zeichengruppierung fasziniert, zugleich blind macht für die Konkurrenz anderer und infolge eines offen vorgenommenen Austausch vom Ziel des Besitzes abbringt, so aber Sehnen entfacht, wieder in die Rolle des Eroberns zu kommen.
Das Unbewusste in diesem Sinne weiss, dass die perfekte Art zu Lügen, die offene Präsentation der Wahrheit ist. In Poes Geschichte wird ein und derselbe Brief (für Lacan zugleich mitzuverstehen: die Buchstaben eines "Wordings") erst von der Königin verborgen, dann vom dies durchschauenden Minister entwendet (und zugleich durch einen leeren Umschlag ersetzt). Nach den erfolglosen Bemühungen durch die Polizei findet ihn der darauf angesetzte Privatdetektiv Dupin, der bei der Rückaneignung im Auftrag des Polizeichefs respektive der Königin auch wieder ein Faksimile an die Stelle des umkämpften Originals setzt (der selbst bestohlene Dieb wird darin eine gehässige Anspielung finden: seine Rache sei dem rächenden Thyestes würdig, in der griechischen Mythologie Bruder des Atreus. Ähnlich wie bei Poe geht es letztlich um einen auf den Thron abzielenden Machtkampf, der eine spannt dem anderen u.a. die Frau aus (D. düpiert die Königin), der andere rächt sich halb dem Thron loyal, indem er dem anderen dessen Kind zerhäckselt und heimlich zum kannibalistischen Mahl vorsetzt (Dupin düpiert D.).
Zwei sich ähnelnde Brüder als Sinnbild für den Mensch als zwiegespalten zwischen Für-andere und Für-sich? Meisterdieb D. und Meister-Ermittler D(upin) erreichen schon sehr viel Ähnlichkeit. Atreus-Effekt statt Oedipus-Komplex, stets kursieren Zeichen und weisen ihren Nutzern ihre Rollen zu.
Der in Poes Story nie preisgegebene Inhalt des Briefs tut übrigens letztlich so wenig zur Sache wie der oben erwähnte Inhalt der Kaffeetasse. Es kommt nur darauf an, den Verbund von durch den Brief/die Lettern affizierten Bezugspersonen Brief/die Lettern zu erkennen: wer den Brief hat, wer das Wort führt, wird in der nächsten Runde wieder entmachtet sein.
Der Psychotherapeut versucht auch wie Poes Sherlock ("M. Dupin") über Identifikation das Offensichtliche begreifbar zu machen. Denn die Patienten werden gewisse Worte für gewisse Konstellationen (unabhängig von konkreten Personen und Themen) immer wieder bringen. Mal auch wie in Poes Story, mit umgestülptem Umschlag, mit manchmal gegenläufigen Vorzeichen - aber doch dem gleichen Thema. Platons Ideenhimmel, christliche Transzendenz, Kants Transzendentalirät oder die Triebe beim populär verstandenen Freud sind dann nicht mehr diskursiv dringlichst verheissen und doch unerreichbar wie für die Kugel auf einer Sphäre deren Innenseite (oder dem Mensch auf der Erdkugel das Überirdische).
Wir alle sind Grell-Lettristiker
Der Mensch hat sorgsam mit seinen großen Lebenswünschen umzugehen.
Auch wenn an ihnen nur real ist, dass sie von Buchstaben (letters) stammen, die dann verschiedene (nicht aber beliebige) Gestalten (nicht nur ähnliche Figuren) annehmen können. „Grell“, ganz offen und profan erscheinen ihm die ureigensten heiligen Buchstabengruppen, so dass mit ihnen gelebt, gelitten, konsumiert und gelästert wird, die Aufmerksamkeit im Alltag aber nie auf ihre unsere Rollen leitende Macht gerichtet wird.
Zoten, Kalauer,: oft ist der Sound wichtiger als die Bedeutung.
Und wir müssen Umwege nehmen: Lacan meint, nicht umsonst ist in der subjektiven Kalligraphie der Strich nicht der kürzeste Weg von A nach B.
Der späte Lacan betont noch mehr die Zotenhaftigkeit des Unbewussten, wiederum nicht dem Sinn nach, sondern nach dem Klang zu insistieren. Freudsche Versprecher und Verhörer.
Ihn fasziniert das Japanische, das mit dem Import chinesischer Schriftzeichen auch deren Lesart nachahmte, bevorzugt in zusammengesetzten Nomen. So braucht es stets, und paradoxerweise ausgehend von der vermeintlich sekundären "Schrift" eine situative Entscheidung des richtigen Sounds. Was wir auch aber auch recht häufig machen, z.B. "acht" vs. echt, oder "T-Balken" vs. "T-Shirt. So weit von grossen Sinnentwürfen sei auch die Arbeitsweise des Unbewussten.
Die Karte des fiktiven "Zärtlichkeitslandes"
...von Madeleine de Scudery 1653 in prezisiösen Gesellschaftsspielen erdacht, zeigt, wie man zivilisiert zusammenfindet. Lacan hält sie zusammen mit den Moralisten für eine Wegbereiterin der Psychoanalyse - Freud habe die Sache dann etwas abstrahiert und festgestellt, dass in deiner psychoanalytischen Kur mit offenem Ende, aber mit provisorischer Orientierung am Analytiker genauso die Frage nach der richtigen Ausrichtung im Zentrum steht. Zum Original: Die direkteste Route nach "Tendre-sur-Inclination" ist ein "Geschenk".
Ansonsten bleiben wie bei Poes Letter nur Umwege: über Tendre sur Estime (Wertschätzung) etwa, hier nähert man sich dem anderen über Bildung und dem Nachweis ritterlicher Tugenden wie Grossmut, Verlässlichkeit unbd Güte.
Carte du Tendre
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Der andere Umweg verläuft über Tendre sur Reconnaissance", wobei der Aspirant sich chamäleonartig dem anderen gleich macht, zumindest sich soweit anpasst, bis er dem Geschmack des anderen entspricht.
Lacan ist fasziniert von der Idee des Lebens als Umweg zum Tod. Auch der direkteste Mensch muss seinen Weg als Umweg gehen. Und auch ein begradigter Fluss interagiert mit der Umwelt und schafft sich schnell wieder "seinen" Umweg". Und auch das individuelle Schreiben geht, um seinen Stil zu finden, - hier schliesst sich der Kreis zum Brief - nicht den kürzesten Weg von A nach B.
GPT im Unbewussten: Gefasel, ja, aber jemeiniges Gefasel!
Lacan macht sich viel aus einer kleinen Passage in Poes Text, in der Rückeroberer des Briefes, Dupin, mit einem Meister im Grad-Ungrad-Spiel verglichen wird, der über imaginäre Identifikation gewinnt (Mimik des Gegners nachahmt, um dessen Denken spiegeln zu können).
Bonapart deutet durchaus biographiebedingt spiegelnd, Lacan mag so etwas gar nicht.
Er ist vielmehr Fan der Kybernetik und Spieltheorie und findet, dass die KI der Wahrscheinlichkeitsberechnung wie bei den Schachcomputern den Vorteil bringt.
Unser Unbewusstes agiere ähnlich, weil es sprachbasiert ist, und Sprache wiederum dem Grad-Ungerad-Spiel ähnelt.
Einer der KI-Stammväter, der in den 18xxern das Prinzip von etwa ChatGPT erfand, erscheint auch Lacan interessant mit der These des Menschen als unbewusster Ausschluss- und Hypothesenbildungsmaschine: Markov, für den nicht einfach das Gesetz der großen Zahl galt, der auch auch xxx den gambler bias befeuerte. Er selbst ist der bei Poe und vielen Intellektuellen faszinierende Mathematiker mit Hang zur Poesie.
Schaut man sich Muster von drei Würfen an, so scheint, als müsse zwischen 3xgleich und 1xgleich (Abwechslung) stets ein 2xgleich stehen. Es zeigt sich also, dass bestimmte Abfolgen, nimmt man die ersten Würfe als "Schicksal" nicht möglicht sind, als hätte das Band der Zeichenketten ein Gedächtnis - genau der dem sprachbasierten "poetischen" Analytiker nicht per Empathie, sondern per zugänglichem "Quelltext".
Expressionistisch, in niederen Ordnungen auch dadaistisch-lautmalerisch...
1. Sprache markiert reale Vorkommnisse (etwa die Zufallsmünzwürfe) nach Ähnlichkeit (ähnliche Köpfe, ähnliche Zahlen) und formt so die begreifbare Realität des Subjekts
KI-Gefasel (nach Markov-Wahrscheinlichkeiten)
Textgrundlage
Hinterlegte Texte zum Probieren:
Eigenen Text einsetzen (nur .txt-Dateien)
Einfach Textgrundlage auswählen und oben auf den 'Los'-Button gehen. Je höher die Ordnung, desto näher am Original.
2. Die markierten Muster schließen andere Abfolgen aus. Wie wir (früh) Realität repräsentieren, besimmt diese. Lust oder Unlust, rot oder schwarz...
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3. Ein KI-GPT ist hier freier, aber im Menschen drängen ausgeschlossene Folgen (Lacans Poe: der Letter erreicht immer sein Ziel).
Lieber ein Ueber-Leben als bloss überleben
Lacan setzt auch auf den späten Freud des Todestriebs. Auch Unlustvolles wird wiederholt. Im Zweifelsfall ist der Mensch zu Vielem bereit, v.a. auch der Aufgabe eines „logisch aufgehenden“ Lebens, wenn er stattdessen das exzessive, teils auch schmerzhafte Geniessen spüren kann.
Im Deutschen kann man sowohl einen guten, als auch einen schlechten Ruf geniessen. Lacan meint dies wörtlich, dies ist das Homecoming des Briefes an die Königin, die ja nichts Wirkliches bei der Rückgabe gewinnt: genau das ist der Mehrwert… Wie die Privattaxi-Agentur zeigt: Amerika liebt den deutschen Begriff "Ueber", wie ja auch Nietzsches "Uebermensch" amerikanisch zum Superman wird.
Begriffe sind dehnbar...
...die privatesten Buchstaben im Sinne Lacans aber auch.
Lacan liebt Anleihen bei der Mathematik. Die mathematische Topologie zeigt, bis zu welchen Verformungen ein Objekt strukturell gleich bleibt. Hier findet sich nicht wirklich eine Analogie in Poes Text.
Aber man kann sich Buchstaben gedehnt, umgedreht vorstellen.
Beim Rundendrehen und Umwegenehmen des Lebens kann akustisch aus Prinzessin "Freud-a-dit" (ihr später Spitzname) schnell "Frigidität" werden.
Anders gesagt, Lacan hat auch eine Art Lerntheorie nach Lernen per gleichzeitig Erscheinendem und Lernen an (lustvollem/unlustvollen) Danach das Lernen per Mc Guffin: ein Wurf entspricht einem Mc Guffin-Urereignis, das quasi traumatisiert, die alte Welt in Ordnung lässt und doch die Erschütterung spürbar machte. Dann steuert man (Kybernetik des Buchstabens) in einer mitunter langen Phase der Erstarrung auf eine Wiederaneignung zu, während derer der Fetisch, der McGuffin, der Brief unkaputtbar zerdehnt, gedreht usw. immer wieder angesteuert wird.
Der Wiederholungszwang ist eigentlich schon die Zielerreichnung, aber im gkücklichen Moment, erobert man das Phallische, das zugleich "feminisiert", wie Lacan sagt und kann endlich den Brief önnen, dessen Inhalt vielleicht einen Spruch, vielleicht ein schon bedeutungslos gewordenen Sinn enthält.
Etwas, das uns unbewusst antreibt...
Warum auch sollte man einem mystifizierten Unbewussten mit seinen notorisch "schmutzigen" Wünschen als Kehr- oder Unterseite den Vorrang geben, statt auf die Sinnfülle des offen zutage liegenden hörbaren oder lesbaren Wortes zu achten? Stellen Sie sich eine Kugel auf einem langen Band vor. Kann diese je die Unterseite erreichen, sagen wir, um dort den alternativen, unbewussten Text rollend abzulesen? Nun, dies funktioniert, indem man das Band um 180 Grad dreht und die beiden Enden zusammenführt. Voilà: Auf dem sogenannten Moebiusband braucht die Kugel zwar zwei Durchläufe, aber nur eine Oberfläche: hat man den Dreh raus, bildet die vermeintliche Kehrseite ein Kontinuum mit ihr.
Das Verhältnis von (bewusstem) Wachen und (unbewusstem) Träumen lässt sich ebenso als Kontinuum verstehen.
Der Traum hat mehr Vernunft als man denkt, die Vernunft mehr träumerische Ideologie als angenommen.
Lacan meint, dass der Mensch ständig irgendwelchen Begehrensobjekten hinterherhetzt, diese aber aus der Realität gestanzt werden mit Hilfe ihrer innerlich für Sinnstiftung zuständigen Buchstaben (parallel mitzudenken: verheissungsvolle Anrufungen und Briefe). Ein weiterer Begriff:
MacGuffin
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aus der Belanglosigkeit herausgehobene Buchstaben. Eigentlich wurde der Begriff selbst als Aufmerksamkeitsfänger und Nachfrage-Sog u.a. von Hitchcock erfunden, er steht ihm "für mehr oder weniger beliebige Objekte oder Personen, die in einem Film dazu dienen, die Handlung auszulösen oder voranzutreiben, ohne während der Handlung selbst von besonderem Nutzen zu sein" (Wikipedia). Ein recht beliebiger Trigger also.
Gerade durch seine alternative Herangehensweise (wie auch Lacan anders als Bonaparte deutet) fällt dem Detektiv der offen zur Schau gestellte Brief auf - letztlich auch eine Form des Versteckens.
Schicksal ist die Abfolge der Begegnung mit bestimmten Zeichengruppierungen, die wirkt, anders als ein Programm auf die Transistoren des Computers.
Man weiss, dass man träumt, genauso weiss man, wenn man einen "schwarzen Peter" hat.
Statt saurer Milch also die A.-Karte.
Also: Was ist mit "Unbewusstem" gemeint - und wie arbeitet man damit?
Es gibt verschiedene Vorstellungen darüber, was das Unbewusste ausmacht.
Schon lange vor der Antike, aber auch dort, finden sich Versuche, nicht vorstellbare Kräfte zu benennen. Prominentere Konzeptualisierungen finden sich dann im Mittelalter bei Plotins "vom Gedachten getrübten Denkakt", in der Gedächtnistheorie des Augustinus (Vergessenes im "Versteck des Geistes"), in Thomas v. Aquins Rückschluss auf unbewusste Denktätigkeiten oder in Leibniz' "dunklen Vorstellungen". Vor allem in der Romantik und in den Goth-Novels gewinnt das Unbewusste eine metaphysische Qualität, Schelling etwa sieht es als universellen Seinsgrund. Viele Patienten sprechen von einem ominösen "Unterbewussten", das ihnen das Leben verrätsele. Bei Sigmund Freud als wirkmächtigstem Nachdenker über das Souterrain des Geistes finden sich durchaus Passagen, die in hinter oder unter jedem Wort seit Kindheit weggesperrte Sex-and-Crime-Avancen vermuten (das Unbewusste als Kessel wilder (verdrängter) Triebe - von daher wird ersichtlich, wie es nach Kopernikus' Dezentrierung der Erde im Universum und Darwins Dezentrierung des Menschen in der Evolution die "dritte Kränkung" sein soll.
Unbewusstes muss nichts Mysteriöses sein.
Das Unbewusste wird in unterschiedlichen Zeiten und Theorieansätzen unterschiedlich imaginiert
Also: Man muss nicht glauben, auf dem Band die andere Seite per Durchstoss zu erreichen, etwa indem man vom Wort "Kamin" auf eine untergründige Angst vorm zu starken weiblichen Geschlecht schliesst. Vielmehr hält man sich mit Vorannahmen (auch Platon oder die Bibelexegese setzen auf einen direkten Draht - nicht in die Tiefe, sondern in den Himmel) zurück, man hört erstmal zu, hört nochmal und noch einmal. Bis die Worte nicht mehrvnach Wörterbucheintrag klingen, sondern nach dem Individuum, das sie prägte, das aber v.a. von ihnen geprägt und geplagt wurde. "Schaust du lange in den Abgrund, gehst du lange deine Schleifen, so schaut er in dich zurück, begegnest du ihrer Kehrseite". Eine solche Psychoanalyse kennt so viele Chiffren von Unbewusstem wie es Individuen gibt, masst sich allenfalls heuristisch "Übersetzungen" an.
Fazit: Das Unbewusste nach Lacan umfasst...
...verschiedene, meist mathematisierbare Eigenschaften, zu deren Symbolisierung dennoch besser der Psychoanalytiker als der Computer geeignet ist:
"Cyber-Verdrängung"
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Topologie
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Buchstäblichkeit
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Ruf geniessen
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Poe reloaded: Die Abläufe aus Sicht der gewechselten Worte (bzw. des Briefes auf Umwegen)
Man kann den Menschen durchaus sinnvoll aus Perspektive seiner Zellen oder seiner Spuren im Internet beschreiben. Für die Psychoanalyse am relevantesten sind aber die Worte, die in einer gewissen Konstanz im Selbstgespräch oder als Depot bei anderen Gewicht haben, und dann für die entscheidenden Schicksals- und Rollenwechsel im Leben verantwortlich zeichnen. Der Brief bzw. das vermeintlich bemächtigende "Heiliger-Gral-Tape", eigentlich aber kastrierenden "Schwarzer-Peter-Letter", versucht, abstrakt Bericht zu erstatten. Er stellt fest, wie vorsichtig die Subjekte mit ihm umgehen (wie mit einem Tabu-Wort), es dann aber doch nach und nach normalisiert und dann unauffällig ausstellen und letztlich gerne wieder los werden - bis sich ein Subjekt findet, das in seinem Besitz zur Identität finden kann.
Reload bedeuet hier ein Exzerpt, eine Abstraktion der ersten "Legende" bzw. des obenstehenden Bildkommentars 1-9 in drei Szenen mit je drei wiederkehrenden Elementen: 1-3 Disruption des blaupilligen Urzustandes (die Geschichte beginnt damit) durch die Einsetzung eines Dementi (in Form des Briefes), wenn dieser auch verschlossen bleibt und das Dementi "nur" wie ein Damoklesschwert über der König-Königin-Eintracht schwebt... 3-6 Der Umweg, das traumatische Erstarren und doch Weiterleben, Bestrebung, ein Paradies 2.0 zu installieren. 7-9 Restitution, rotpilliges Mehrwissen bei der Rückkehr ins angekratzte Paradies.
So gesehen wiederholen sich wie beim zweimaligen Durchlauf auf dem Moebiusband die Ur-Ereignisse zweimal. Poes Story bekommt die Struktur "Fall - Bewusstwerden-als-Versprachlichung - Subjektivierung per Neu- oder Fremdaneignung"
Eine Vignette via Zeitungsmeldungen (=zu Privatideologien)
1-3 J. H. aus Wales erwirbt 2013 als "Early-Adopter", als für das Mining noch eine Festplatte ausreicht, 8000 Bitcoins. 4-6 Aus Versehen gerät diese in den Müll. Als Bitcoins das grosse Thema werden, will er sie zur&uoml;ck, vermutet, dass sie auf der Mühalde verschüttet sind und will die Königin bei Poe mit einem Spezialroboter jeden Winkel durchsuchen lassen. 7-9 Der Ausgang der Geschichte ist offen...
Kulturkritik (=zu Zeitgeistideologien) Spezialität des Philosophen Slavoj Žižek
Marie Bonapartes privates Schicksal der Briefbemächtigungen - auch eine perfekte Allegorie!
1-3 Als liebesbedürftige 16-Jährige verleitet der väterliche Sekretär sie zum Schreiben von Liebesbriefen. 4-6 Sie muss dem späteren Erpresser mehrfach Schweigegeld und Abfindungen zahlen. Sie schreibt ihre Sehnsüchte literarisch und Psychoanalyse-theoretisch auf. 7-9 Sie kann sich die Briefe wiederaneignen und ihre Geschichten Freud anvertrauen: sie widmet ihr späteres Leben ihrer sublimierten Liebe zur Psychoanalyse und rettet am Ende dessen Briefe.
Einzelpsychoanalyse (=Privatideologie): Eine anonyme Patientin
1-3 Frau I. ahnt lange nicht, dass sie xxxxx. 4-6 Sie exponiert sich, als sie von dem Korsika-Nationalisten Antoine Leandin.
7-9 Später, im Verlauf der Kur, kann sie
Per Dechiffrierungsbrille unbewusste Motive offenlegen
Ray Nelsons, von John Carpenter verfilmte Kurzgeschichte Eight O'Clock in the Morning, zeigt als Agens der allgemeinen Ideologie Aliens, die uns ruhig halten, solange die Imperative der Ideologie unbewusst bleiben. Der Kulturphilosoph Slavoj Žižek hält dies - abzöglich der Aliens - für eine wunderbare Illustration unseres Zeitgeists.
Freud und eben auch Marie Bonaparte finden aufs Individuum gerechnet in Poes Story den Oedipus-Komplex wieder (das Verweigern zugunsten des Zeitgeistgehorsams wäe schon eher todestriebig....)
Und Lacan versucht sich an einer Abstraktion des Ganzen, wie sie die Protagonisten unisono wie auch sonst die conditio humana betrifft.
Hat Ihre Biographie auch etwas von "nachträglicher Aneignung? Psychoanalyse zumindest möchte dabei helfen...