Auf- und Ausgelesenes
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Maren Lammers „Emotionsbezogene
Psychotherapie von Scham- und Schuldgefühlen" (2016) |
Léon Wurmser „Masken der
Scham“ (1981) |
466
Seiten, 8 Abbildungen, 17 Tabellen 13
Kapitel (189 Seiten zur Praxis, zentral 63) 119
Zusammenfassungen, 17 Exkurse 38
veranschaulichende Fallvignetten 8
Praxistipps, 13x Tipps zum „Vorgehen“ Materialsammlungen,
diverse Übungen (acht davon auch als code-geschütztes PDF, ebenso
Fragebögen, das Literaturverzeichnis
und Abbildungen). Kulturgeschichtlich vertiefend sind vier Beiträge von
Isgard Ohls. Leider
kein Personenverzeichnis. |
491
Seiten 16
Kapitel 14
Zusammenfassungen 19
veranschaulichende, teils mehrfach wiederaufgegriffene
Fallvignetten, plus Werkvignetten Weniger
„to-go“-artige Darreichung/ Manualisierung, stilistisch eher der „alten“
Garde einzuordnen, die bestrebt scheint, ohne
„Handbuch-Zugriffserleichterung“, abstrakt zur Geistesgeschichte
beizutragen. |
Integrativ-schulübergreifend (mit Nähe
zur Schematherapie). Micha Hilgers’ Buch zu Schamaffekten wird
gewürdigt und auch Wurmser zweimal
erwähnt. |
Psychodynamik (insbes. Anna Freud,
Otto Fenichel, Paul Gray) |
Basis von Scham und
Schuldgefühl sind mangelnde Chancen, Grundbedürfnisse (Bindung, Kontrolle, Selbstwert, Lust,
Konsistenz) zu befriedigen. Legt
sich diese Art Schatten über die Emotionen, sollte die Begutachtung der
psychischen Gesundheit nicht einfach den klassifizierenden Deskriptionen
folgen, sondern zunächst bei den grundlegenderen Bedürfnissen bleiben:
ohnehin liege Scham so gut wie allen psychiatrischen Krankheiten zugrunde. Eine
Ergänzung zum Ansetzen bei den Bedürfnissen: Der bekannten
psychoanalytischen Sexuierung von Objekten zufolge
würde diese Form einer Zentralisierung der Bedürfnisse damit
experimentieren, dem Befriediger irgendwo doch auch
vervollständigendes Medium zu sein: dies würde also eine ggfs. zuvor ganz und gar tabuisierte, im Repertoire also durchaus
wertvolle hysterische Haltung einüben. |
Basis der Scham sind Triebe und Konflikte, Erklärungsfluchten
in Borderline- und Psychosediagnosen erscheinen daher
meist überflüssig. Der
ohnehin Assoziationen und Basisstrukturen folgenden Psychoanalyse verleiht der
Fokus auf die Scham somit eine weitere Blickschärfung: bei
Konfrontation mit den Anzeichen, den „Masken der Scham“ sollte
man mehr noch als sonst auf das individuelle Maß des
„gestatteten“ Überich-Nahetretens
achten. Von
Anfang an beim Zuviel und Zuwenig des Blicks als sexuiertem
Sonderobjekt anzusetzen ist ein direkterer Zugriff auf die Scham. Im
Übermaß zeigte sie sich eher in Machtspielchen als in der
klassisch „machohaften“ Höhepunktsuche. Die Arbeit auf
dieser Ebene, die ein Genug des Guten (bzgl. des Blickfetischs) justieren
will, wäre vor diesem Hintergrund Arbeit an perversen Zügen. |
Empathie im Zentrum: Mentalisierung,
kognitives Sich-in-den-anderen-Versetzen und
emotionales Mitschwingen ist Basis von Schuld- und Schamgefühlen, Spiegelneuronen
programmieren uns, „menschlicher Resonanzboden“ eines
„gemeinsamen Vielfachen“ sein zu wollen. |
Empathie im Zentrum: Scham
erfordert mehr als sonst Zeichen, dass das Individuum als solches gesehen
wird: therapeutisch und überhaupt zwischenmenschlich sollte der
Analytiker daher taktvoll sein, analytisch intelligent und neugierig. |
Schuldgefühl ist eine soziale
Basisemotion, die attribuiert (Ursache bzw.
„Verursacher“ zuschreibt), und die Kognitionen mit Appellen
fusionierend so lange in Geiselhaft nimmt, bis das Anderenverhältnis
geprüft ist. So feilt der Gewissensbiss mittels kontrafaktischem
Denken („Was wäre, wenn ich es anders gemacht hätte?“)
durchaus positiv an der Sozialkompetenz. |
Schuldgefühl – es wird erwähnt,
aber nicht ausdifferenziert. Vielleicht im Wissen, dass diesem in den diversen
Überich-Diskursen der Psychoanalyse reichlich
Diskussionen gewidmet sind. |
Scham aktiviert in stark
kultureller Abhängigkeit die Selbstregulierung, positiviert
Würde und eigene Grenzen – ist „Freuds blinder Fleck“.
Nach der einschlägigen Unterscheidung von Helen Lewis 1971 betrifft sie -
den Blick auf die Schuld teils gar verstellend – immer die ganze Person,
kein je wiedergutzumachendes Fehlverhalten. Scham
will als Signal gehört werden und kann dann im besten Sinne eine
„Lehre“ sein. Sie hat aber auch eine Generalisierungstendenz, die
krankheitsanstoßend wirkt (dann als
„sekundär“ angesprochen). |
Scham tritt inkognito auf.
„Hauptmasken“:
Depersonalisierung, Depression, passagere
Essstörungen oder Denkstörungen. Scham ist abfällig formuliert
meist verhüllte Narzissmus-Begleiterin, resultierend in Schamangst
(Hemmung), eigentlicher Scham und/oder Charakterpanzer (Haltung). Bei ersteren
gibt es noch klarer ein Vor-etwas und ein nicht mal
vor sich selbst haltmachendes Vor-jemandem (sich
schämen). Eigentlich ist sie aber ein Schneckenhaus-artiger Schutz der
Fähigkeit zu wahrer Liebe: im Loslassen, im Gewähren schutzfreier
Momente wirkt sie als Sublimierungsmotor. |
Schamlosigkeit ist auch vom stets mitreifenden
Blick auf sich abhängig. Sich schamfreie Zonen zu schaffen ist normal,
es gibt aber eine Grenze zum Schädigenden und Pathologischen. |
Schamlosigkeit/Coolness ist die
dialektische Kehrseite, die eine Wiederkehr des Verdrängten fördert,
mit der Lustquelle des Loslassens nur spielt. |
Technik: wichtig sei, dass
der Therapeut sich mit eigener Schuld und Scham auseinandergesetzt hat und
eine reflektierte, „verstehende“ Haltung kultiviert, spezifische schamabbauende „Ziele“ im Hinterkopf hat. Auch
schamspezifische Psychoedukation kann wichtig sein,
später geht es dann um Zugänge zu Emotionen allgemein, spezifisch zu
Schuld und Scham, und noch tiefer greifend zu unterstellt schamgenerierenden,
verschütteten Bedürfnissen (diverse mehrschrittige
Manuale wollen hier dem Therapeuten helfen). Allgemein
gilt es Ressourcen zu nutzen und geschickt mit dem angenommenen „emotionsphobischen Konflikt“ umzugehen. Dies
gelingt zum Beispiel durch eine hypnotherapeutische
Personifizierung der Scham oder durch den Aufbau eines inneren Gegenspielers.
Auch hilft es, kindlichen Kognitionen eine Stimme zu verleihen, wo es dem
Klienten schwerfällt, stellvertretend Verantwortung für den alles
nur verschlimmernden Rückzug bzw. die Trotzhaltung zu übernehmen
– alle dies im Dienste einer nachträglichen
Bedürfnisbefriedigung (man wird gewissermaßen
„Detektiv“ fürs Aufspüren der wahren Bedürfnisse). |
Technik: um belehrende
Gegenübertragung zu minimieren, sollte man sich selbst und seine Scham gut
kennen. In
der Arbeit mit dem Patienten an der Oberfläche beginnen, zunächst
Abwehrmechanismen vor dem Konfliktinhalt beachten, dabei v.a.
auf ein Zulassen der Beobachterlust und Selbstdarstellerlust achten (ob sich
das Gegenüber gleichsam wie in „Peepshows“ begibt oder
selbst zeigt, schwächer: sich im Boulevard und Alltagstratsch suhlt), und dabei die typischen
Kaschierungsstrategien kennen. Alsbald
auch Überlegungen anstellen, wie sich der „Schamriss“ in der
Subjektarchitektonik wohl kitten lässt: wie einen beschädigten
Brückenkopf nur lokal stützen, oder die ganze Konstruktion neu
ausrichten? Scham
wird hier v.a. metaphorisiert als Angst vor dem
bösen Blick, daher müsse der psychodynamische Scharfsinn mit einer
Scham vor der Ein-Sicht rechnen. Training:
systematisch bei sich und dem Patienten zwischen induzierter Schamanflutung
und ihrer Analyse wechseln. Idealerweise gar eine Art Transzendenzerfahrung
initiieren, wie es großer Kunst gelingt: nicht für eine „Regression“,
sondern für „Magie im Dienste des Ich“. |
Fazit: je stärker die
Scham, desto mehr soll man davon ausgehen, dass vor allem früh im Leben Objekte
(Personen, Zuneigungen, Handlungen) gefehlt haben. Dies später zu
„sehen“ und dabei das Sehen sehr verständnisvoll wieder zu
trainieren ist besser als immer wieder wegzuschauen… |
Fazit: das Triebleben eindämmende
Verbote sollen besonders leicht in nicht klar herzeigbare Konflikte
stürzen. Solange der Mensch aber doch irgendwie seinen Phantasien
entsprechend schauen und sich zeigen will, hilft reflektierte, gut getimte
und dann magisch geteilte „Erlaubnis“ weiter… |